Über Noëlle Revaz Roman „Das unendliche Buch“.

Die Zukunft des Buches sieht nicht gut aus

Vor gut einem Jahr habe ich an dieser Stelle Noëlle Revaz Roman „Von wegen den Tieren vorgestellt. „Von wegen den Tieren“

Das Buch hatte mich auf allen Ebenen (sprachlich, literarisch, inhaltlich) so begeistert, dass ich nun auch ihren Roman „Das unendliche Buch“ gelesen habe. Die französische Originalversion „L‘infini livre“ wurde 2015 mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. Revaz verfasst mit dem „Unendlichen Buch“ einen Roman, der den Literaturbetrieb einer nicht allzu fernen Zukunft entwirft.

Worum Geht es? Das Buch ist vollends zur Ware geworden, es zählt nur noch die Gestaltung des Covers, die Inszenierung der Buchvorstellung und natürlich die Performance des Autors. Der Literaturbetrieb liegt im Fokus des Medieninteresses, Autoren sind begehrte Talkshow-Gäste. Das Buch lebt, könnte man diagnostizieren. Aber: Kein Mensch liest die Bücher mehr. Seit Jahren hat keiner mehr in sie hineingeschaut, in den Seiten geblättert. Und die Autoren schreiben eigentlich auch nicht mehr. Da tröstet es kaum, dass die Bücher sogar noch Seiten aus echtem Papier besitzen, diesem aus der Zeit gefallenen Relikt.

Jenna Fortuni und Joanna Fortaggi sind zwei Autorinnen, die ganz gut von und mit ihren Büchern leben können. Die beiden sind keine Sterne des Literaturmarkts, ab ganz passable Sternchen. Da tüftelt der Verlag einem Riesen-Coup aus: Er verschmilzt die beiden austauschbaren Autorinnen zu einer einzigen Autorin: Joenna Fortunaggi. Der neue Stern am Buchmarkt ist geboren.

Und während Medien und Verlag und PR-Agenturen und Talkshow-Meister sich darüber Gedanken machen, ob das Buch nun ein rotes, ein gelbes oder sogar ein grünes Cover bekommt, planen Joenna Fortunaggi ihrerseits ein Riesending: Sie schreiben wirklich ein echtes Buch.

Die Idee ein solches Zukunftsszenario zu entwerfen ist zweifellos gut. Es liegt ja auch, wenn man den aktuellen Buchmarkt betrachtet, durchaus auf der Hand, aktuelle Tendenzen etwas weiter zu denken. Natürlich werden so viele Bücher gedruckt und gekauft wie noch nie. Aber wer liest sie noch? Und wo, außer in einigen tapferen Late-Night-Formaten wird noch über sie gesprochen?

Schon der Gedanke an die öde Inhaltslosigkeit der Buchprodukte, die Noëlle Revaz beschreibt, langweilt. Und hier liegt das Problem, das ich mit diesem Roman habe: Revaz schreibt ein satirisches Buch über die Vermarktung des literarischen Nichts, die Inszenierung der absoluten Leere. Das ist ein guter Ansatz, der -aus meiner Sicht zumindest – jedoch leider nicht über 286 Seiten trägt.

Die Leere und Austauschbarkeit der Bücher spiegelt sich – naturgegeben – in der Austauschbarkeit der beiden Protagonistinnen. Und vice versa. Jenna Fortuni und Joanna Fortaggi sind als Personen so austauschbar und substanzlos, dass man sie tatsächlich beim Lesen kaum auseinanderhalten kann und sie vor meinem Leserauge schon miteinander zu einem Surrogat verschmelzen, bevor der Verlag auf diese Idee kommt.

Natürlich habe ich das Buch dennoch bis zum Ende gelesen. Diese Tatsache verdankt sich jedoch weniger dem Plot, als der sprachlichen Qualität und Originalität von Revaz‘ Sprache. Revaz ist – wie ich und vermutlich auch Sie – eine Literatur-, Buch- und Sprach-Enthusiastin. Eine Liebhaberin des Lesens, und des Schreibens. Immer wieder findet man auf den papiernen Seiten sprachliche Perlen:

„Das Buch war auf die Falsche Seite gefallen. Es war auf seinen breiten Rücken geknallt (…). Das Buch lag total liederlich da. Die frische Luft strich um seine Eingeweide, das Innere war zur Schau gestellt. Und zu beiden Seiten seines offenen Herzens war es zerteilt, preisgegeben, weiß und gewölbt, bedeckt mit kleinen strichen und Rundungen und braven Zeilen, die neugierig machen.“

Abbildungen: Rechte beim Verlag

Zum Buch:

Noëlle Revaz: Das unendliche Buch.

Roman.

Aus dem Französischen von Ralf Pannowitsch

Wallstein Verlag, Göttingen 2017

ISBN: 978-3-8353-1870-0

284 Seiten