Über Tim Krohns Roman „Julia Sommer sät aus“

Menschliche Regungen im Geschosswohnungsbau

Es ist eine beneidenswert sympathische Hausgemeinschaft, an der uns Tim Krohn in seiner Reihe „Menschliche Regungen“ teilhaben lässt. „Julia Sommer sät aus“ ist der dritte und (hoffentlich nur vorläufig) letzte Band der Romanserie, die mit „Herr Brechbühl sucht eine Katze“ begonnen hat. Zur meiner Rezension geht es hier entlang…

Das „Menschliche-Regungen-Projekt“ folgt einem spannenden Konzept: Tim Krohn (1965 geboren in Nordrhein-Westfalen und in der Schweiz aufgewachsen) greift in auf die Fülle menschlicher Regungen zurück und widmet jeder Regung ein Kapitel. Es geht um Frohsinn und Beherztheit, um Auffallen und Humor, um Naivität und um Forscherdrang und 58 weitere menschlicher Gefühlsregungen.

In einem Mietshaus einer Zürcher Genossenschaftssiedlung errichtet Tim Krohn einen Mikrokosmos, in dem er all diese Regungen durch seine Protagonisten ausagieren lässt. Das Figurenpersonal in „Julia Sommer sät aus“ hat sich in den beiden ersten Bänden bereits etabliert. Daher bietet es sich auch an, die Bücher in chronologischer Folge zu lesen.

Es macht Freude, diese Menschen und ihre Regungen zu beobachten und in ihre Welt einzutauchen. Unspektakuläre Menschen, die unspektakuläre Dinge erleben, das klingt zunächst nicht nach einem „großen Wurf“. Einen abgezirkelten Plot, einen spektakulären Handlungsverlauf mit großem Showdown am Ende gibt es auch in diesem dritten Band nicht. Dafür ein sinnvoll verschachteltes und sorgfältig durchdachtes Figuren-Universum das von großer Authentizität lebt und davon, dass Tim Krohn bei der Gestaltung seiner Figuren eine ungeheure (liebevolle) Sorgfalt an den Tag legt.

Hubert Brechbühl ist mit Edith-Samyra verbändelt, er ist frisch verliebt und „bewunderte ihre elfenbeinfarbene Haut und das feuerrote Haar und genoss es durchaus, dass sie ihm Häppchen strich und Kaffee einflößte.“

Die patente alleinerziehende Mutter Julia ergreift die Initiative zu einem Bewohnergartenprojekt, die Schauspielerin Selina wankt zwischen ihrer Sehnsucht nach Veränderung und der Liebe zur Gewohnheit.

Das Studentenpärchen Petzi und Pit bastelt weiter an seiner Beziehung herum, wobei ihnen Petzis Mutter Rosa in die Quere kommt, die „notfallmäßig“ für ein paar Tage bei den beiden einzieht. Der Besuch entwickelt sich jedoch nicht ganz komplikationslos:

„Pit verstand nicht genau, was ihn an Rosa so berührte. Vor ihrer „Entpuppung“, wie sie es nannte, hatte er sie nur flüchtig gekannt, und er erkannte sie kam wieder.“

Efgenia und Adamo, das Hausmeisterehepaar, arbeiten sich aus einer Krise heraus.

„Wir müssen uns einfach ab und zu mal prügeln, das at nichts weiter zu bedeuten. Und danach haben wir immer guten Sex.“ Entschuldigt sich Efgenia bei ihrer Nachbarin Julia.

Julia ist nachsichtig, wie eigentlich alle im Haus: „Das Leben war schwierig genug, es gab wirklich keinen Grund einander ein bisschen Vergnügen zu neiden.“ Das ist eine gute Maxime für das Zusammenleben.

Übrigens: „Menschliche Regungen“ ist als Crowdfunding-Projekt entstanden. Unterstützer dürfen sich aus einer Liste eine menschliche Regung auswählen und auch ein paar Stichwörter, die dann im jeweiligen Kapitel auftauchen. Tim Krohn arbeitet die Kapitel nach Eingang des Auftrags ab. Das klingt etwas schräg und läuft ja eigentlich einem durchgängigen Plotgedanken entgegen. Aber dem Autor gelingt es, trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – dieser äußeren Einflüsterungen einen konzisen Roman zu entwickeln.

Zu Tim Krohns Projekt: www.menschliche-regungen.ch


Abbildungen: Rechte beim Verlag


Zum Buch:

Tim Krohn: Julia Sommer sät aus.

Menschliche Regungen Band III

Roman.

Galiani, Berlin 2018

ISBN: 978-3-86971-171-3

474 Seiten