Tim Krohns Roman „Herr Brechbühl sucht eine Katze“

Über das Glück, in einem Mietshaus zu leben

Ach ja, die lieben Nachbarn. Wer kennt sie nicht, die Geschichten über kleinliche Nachbarschaftsnörgeleien, erbitterte Streitigkeiten um Putzwoche und Mülltrennung, eskalierende Konflikte um nächtliche Musik und spielende Kinder. Darüber kann man herrlich schreiben, Leser sind einem sicher.

Tim Krohn (Jahrgang 65), in Nordrhein-Westfalen geboren und in der Schweiz aufgewachsen beschreibt das Gegenteil. In seinem Buch „Herr Brechbühl sucht eine Katze“ schreibt er einen optimistischen Gegenentwurf. Ein Buch vom gelingenden Miteinander in einem Zürcher Mietshaus. „Utopisch, unrealistisch“, höre ich jetzt vielleicht all diejenigen rufen, die gerade vom Nachbarschaftskrieg zermürbt in ihrer Wohnung sitzen. Aber vielleicht hilft ja die Lektüre dieses Romans, das Ganze mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Danach kann man das Buch ja einfach mal nach nebenan verleihen. Oder nach Gegenüber, Obendrüber oder Untendrunter. Je nach dem, wo der Schuh gerade zwickt.

Natürlich ist Tim Krohns Roman keine „Anleitung zum Friedlichsein“ und auch weitab von jeglicher Vorabend-Heile-Welt-Verkitschung. Nein, der Autor dekliniert am Beispiel dieses ganz normalen Hauses mit seinen ganz durchschnittlichen Bewohnern das Repertoire der „Menschlichen Regungen“ durch. Von A wie Aalglätte bis Z wie Zynismus (über Kleingeist, List und Ödnis).

Es ist zumindest zu Beginn nicht ganz einfach, bei der Menge an Figurenpersonal, dass Krohn in seinem Roman auffährt, die Übersicht zu behalten. Wenn ich richtig gezählt habe, gibt es an die 20 Haupt- und Nebenpersonen, anhand deren Krohn seinen Pool menschlicher Regungen ausbuchstabiert. Das muss man sich als Autor erst einmal trauen.

Genauso schwierig ist es für mich nun, so etwas wie einen Handlungsfaden in drei Sätzen wiederzugeben, was ja in einer Buchbesprechung eigentlich nicht fehlen darf. Ich verzichte dieses Mal darauf und stelle – wie beim Speed-Dating – einfach meine Lieblingsnachbarn vor:

Da ist – allen voran – das Ehepaar Brechbühl, zwei nette ältere Herrschaften, die sich und ihren Alltag nach Huberts Pensionseintritt neu erfinden müssen. Da gibt es die alleinerziehende Mutter Julia mit ihrem turbulenten Familienleben:

„Julia, bei dir ist immer Notfall, (…) Ratte im Sterben, Mona vergrippt, Nachbar gestürzt. Quasi im Wochentakt.“

Die Schauspielerin Selina denkt über Moral nach:

„Denn eigentlich sind wir ja nur dann moralisch, wenn wir moralisch handeln, obwohl uns dieses Handeln mehr kostet als das unmoralische.“

Und Petzi und Pit über ihre Beziehung:

„Eine Beziehung ist wie ein Möbiusband. Man kommt immer wieder an die gleiche Stelle, und doch ist sie nicht dieselbe. (..) Ich würde mir wünschen, in einer Beziehung zu leben, in der es immer weitergeht und die zugleich so klar umrissen ist wie so ein Möbiusband.“

Es hat mir große Freude gemacht, beim Lesen in das Universum von Herrn Brechbühl und seiner Nachbarschaft einzutauchen. Der Roman ist vielschichtig, vielseitig und gibt wie in einem -zugegebenermaßen etwas zu groß geratenen – Kammerspiel die universelle Fülle „menschlicher Regungen“ wieder. Nun freue ich mich auf die Fortsetzung.


Abbildungen: Rechte beim Verlag


Zum Buch:

Tim Krohn: Herr Brechbühl sucht eine Katze.

Menschliche Regungen Band I

Roman.

Diogenes, Zürich 2018

ISBN: 978-3-257-24445-9

464 Seiten