Heilige Hildegard, heilende Kräuter und unheilbringende Pharmaforschung
Mit Regionalkrimis ist es bekanntermaßen ja immer so eine Sache. Als Lokalpatriot findet man dann auch lahme Stories gut, nur weil man von den Schilderungen des Schauplatzes nicht genug bekommen kann. Bei Helge Weichmanns Krimi verhält es sich anders: Meine Heimatstadt Wiesbaden und Mainz, der Schauplatz von Weichmanns Krimi, sind (ähnlich wie Köln und Düsseldorf) zwei traditionell eher feindlich gesinnte Schwestern. Als gebürtige Wiesbadenerin laufe ich also nicht Gefahr, bei einer Rezension zu „Schandfieber“ ein Auge zu zudrücken und Milde über einen misslungenen Plot oder missglückte Charakter zu walten zu lassen.
Wenn ich also zum Ergebnis komme, dass „Schandfieber“ ein spannender und zugleich humorvoll-unterhaltender Krimi ist, dann liegt das nicht an heimattümelnder Verblendung meinerseits, sondern daran, dass Helge Weichmann einfach ein handwerklich gut gemachter Krimi gelungen ist.
Die Protagonistin, die auf den so wohlklingenden wie altmodischen Namen Ernestine Nachtigall hört, ist eine Heldin mit Ecken und Kanten. Tinne, wie sie von ihren Freunden genannt wird, ist eine unkonventionelle Frau, die mit ihren beiden liebenswert chaotischen Mitbewohnern ein munteres WG-Leben in der „Kommune 47“ führt.
Die Historikerin arbeitet an der Mainzer Universität. Ein gemeinsames -medizinhistorisches – Projekt mit dem Pharmakologischen Institut katapultiert die Mittelalterspezialistin in ein mysteriöses Geschehen: Ein Mitarbeiter verschwindet spurlos, das Labor wird von einer Explosion verwüstet. Hunde und Katzen kommen auf den Straßen der Stadt abhanden und im Apothekergarten fehlen Kräuter.
Tinne stürzt sich in Ermittlungen, die sie nicht nur in die Benediktinerinnen Abtei St. Hildegard über Rüdesheim führen, sondern auch in düstere Labore. Begleitet wird die bodenständige Radfahrerin von ihrem Kumpel, dem investigativen Reporter des Mainzer Lokalblatts. Es wird für Tinne nicht einfach, die verwirrende und verwirrte Angelegenheit aufzuklären. Während der Leser ganz nebenbei noch einiges über die Heilige Hildegard, mittelalterliches Heilwissen und heilende Kräuter erfährt, gerät Ernestine Nachtigall in ernste Gefahr.
Für mich bot „Schandfieber“ einige Stunden spannende Unterhaltung. Viel Lokalkolorit (ja, ich gebe zu, Mainz ist gar nicht so übel), ein gut recherchierter historischer Background, interessante Typen und ein spannender Plot. Was will man mehr?
Abbildung: Recht bei Verlag
Zum Buch:
Helge Weichmann:
Schandfieber.
Die Zeit wird knapp für Ernestine Nachtigall
Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2018
ISBN: 978-3-8392-2333-8