„Warum wir reisen und was wir dabei denken“.
Ein Reisebuch im Hunde-Buch-Blog? Nun. Ich liebe Reisebücher. Bücher von Menschen die reisen und Bücher über Menschen die reisen. Besonders mag ich diese Bücher, wenn ich selber unterwegs bin. Oder auch wenn ich nicht unterwegs bin. Oder nur ein bisschen von zu Hause weg Matthias Politycki hat mit „Schrecklich schön und weit und wild“ ein Reisebuch par excellence verfasst: Ein Essay, in dem der weit- und vielgereiste Autor (Jahrgang 1955) schreibend über das Reisen reflektiert.
„Reisen ist für mich praktische Philosophie. Den Wert einer Reise bemesse ich nicht nach ihrem Schwierigkeitsgrad, ihrer Exotik oder sonstigen Rahmenbedingungen, sondern nach den Erkenntnissen, die auf den Wegen der Neugier als Stolpersteine lagen.“
Ich kann Matthias Politycki nur zustimmen. Es kommt nicht auf die Exotik an und erst recht nicht auf die zurückgelegten Flugmeilen. Erkenntnisse kann man auch im Schwarzwald erlagen (ich spreche aus eigener Erfahrung) und Langeweile in paradiesischen All-Inclusive-Ressorts auch in Fernost (hierüber kann ich nur Mutmaßungen anstellen). In seinem Essay-Band lässt der Autor Pauschalurlaube an die Pools und Strände dieser Welt erwartungsgemäß außen vor und widmet sich seinen eigenen Reisen, die ihn in die entlegensten Winkel dieser Welt führten. Polityzki reist meist auf eigene Faust, häufig um Recherchen für seine Bücher zu machen aber auch „einfach so“, als Tourist. Einen gewissen Sonderstatus innerhalb dieser Reisebiografie nimmt eine mehrmonatige Kreuzfahrt als „Writer-in-no-residence“ ein.
Matthias Politycki blickt in seinem Buch auf über 40 prall gefüllte Reisejahre zurück, die er seit 1975 protokollierte. Er hielt „der Flut der Eindrücke“ nicht stand, „ohne dagegen anzuschreiben“. Für uns Leser ist es ein Glück, dass Politycki seine Notizen bewahrt hat und sich (und uns) nun seine Reisen vor Augen bringt. Sein Buch kommt übrigens gut ohne Fotos aus. Denn: „Manchmal ist eine Notiz stärker als alle Fotos dieser Welt.“ Der Autor beschert uns Reisegedanken auf hohem sprachlichem Niveau. Ob Sternenhimmel über der Wüste oder Morgennebel am Mekong: Immer wieder trifft Politycki die volle „Wucht des Schönen“. Und mich -als Lesende- ebenfalls.
Politycki holt manchmal weit aus. Zum Beispiel wenn es um die Schönheit geht. Oder die Erhabenheit. Und den Unterschied zwischen beidem. Frei nach Kant versucht Polyticki beides auseinander zu halten: die „perfekte Form des Vertrauten“ (also die Schönheit) vom „atemberaubend Fremden“ (der Erhabenheit). Überwältigen wird den Reisendes natürlich beides. Immer wieder aufs Neue überwältigt zu werden. Das ist eine der Motivationen, die den Reisenden immer wieder in die Ferne ziehen.
Abenteuerlust, die Jagd nach dem Schönen und Erhabenen, Melancholie, Einsamkeit und Heimweh: In „Schrecklich schön“ werden die vielen Aspekte des Reisens sehr sorgfältig dekliniert. Der Autor setzt sich mit dem Kanon der großen Reiseautoren auseinander (Theodor Fontane, Bruce Chatwin, Paul Theroux). In seinen Essay zitiert er immer wieder Reisende, die „trotz real existierender Namensgeber“ vor allem „Phantasiegestalten“ sind.
Polityckis Schilderungen wohnt eine starke Verlockung nach dem Überwältigenden der Fremde inne. Obwohl er selbst den „Wert“ eine Reise ja gerade nicht an den zurückgelegten Kilometern und dem Exotikfaktor festmacht, sind es doch meist die Schilderungen der entlegensten Ziele im Nahen Osten, in Zentral-Afrika und in Asien, die am verheißungsvollsten klingen.
Polityckis Buch verlockt, den Aufbruch in die Fremde selbst zu wagen. Ob man sich – wie der Autor selbst – an so fremd anmutende Ziele wie Aserbeidschan, Usbekistan oder Bangladesch herantasten möchte ist Geschmackssache. Polityckis Reiseschilderungen sind ungeschminkt und beschönigen nichts. Er berichtet von seinen größten Flops, von Verstörendem und Ärgerlichem. Immer wieder ist er hin- und hergerissen zwischen kritischem Blick und Empathie für das Fremde.
Politytzki streut zwischen seine Texte immer wieder Gedichte. Schöne, kleine Miniaturen, die die essayistischen Reflektionen vortrefflich ergänzen. Es dreht sich in den Gedichten um Schönheit und Abenteuer, wie bei jenem Tag in North Carolina,
„der war vielmehr so schön,
dass ich fast lauthals losgeheult hätte
mit meinen vierundvierzig Jahren“
und einer Nacht in der kasachischen Steppe
„Falls du die Nacht überlebst,
beginnt beim ersten Hahnenschrei
alles von vorn.“
Und – “Vor allem“ – um Heimweh:
„(…) Was ich auch tue oder lasse,
ich sehne mich nach Kopfsteinpflaster,
dem allvertrauten Anblick unserer Gasse
im Schatten der Kastanie, Dämmerschein…“
Reisen – so verstehe ich den Autor – , ist auch (und vielleicht vor allem) das Hin- und Hergerissensein zwischen fremder Schönheit, verstörender Fremde und dem Sog des vertrauten Kopfsteinpflasters.
Abbildung Cover: Rechte beim Verlag
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Matthias Politycki:
Schrecklich schön und weit und wild. Warum wir reisen und was wir dabei denken.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2017
ISBN: 978-3-445-50426-2
350 Seiten, 22 Euro