Bilder und Gedichte mit und ohne Hund
Flughunde gehören zoologisch zur Ordnung der Fledertiere. Sie sehen Hunden ähnlich und flattern durch lauwarme Tropennächte. Mit 40 cm Rumpflänge können sie es durchaus mit einem Cocker-Spaniel aufnehmen. Letzterer ist jedoch – wie wir wissen – nicht flugfähig.
Die Hunde, die Gabriele Kromer in ihren „Poster Graphics“ porträtiert, machen – das haben sie mit Cocker Spaniels gemeinsam – vom Phänotyp her nicht den Eindruck einer ausgeklügelten Aerodynamik. Kromers Hunde haben den Habitus schlichter Straßenhunde; ähneln etwas ihrer berühmten Verwandten Laika, die 1957 auf einer so fragwürdigen wie grausamen sowjetischen Mission ihr Leben im Erdorbit lassen musste. Als ob Kromers Hunde von diesem Schicksal wüssten, blicken sie stets etwas melancholisch über ihre langen Hundeschnauzen hinweg. Oder sie fletschen trotzig ihre Zähne: „Wir können uns wehren. Finger weg.“
Die Hunde in Gabriele Kromers Gedichtband sehen sich ähnlich: Gedrungener Rumpf, Stehohren und etwas kurze Beinchen. Sie sind wohl nicht gerade die Gewinnertypen auf einem Hunde Beauty-Contest. Aber sie rühren mich an. Trotz oder vielleicht wegen ihres ungeschönten, ungekünstelten Äußeren. Auf den ersten Blick muten sie nach einfachen Strichzeichnungen an. Auf den zweiten Blick erschließt man die Collagenartigkeit von Gabriele Kromers fliegenden Hunden. Sie sind zusammengesetzt aus simplen Holzhockern, Taschenmessern, Metallfundstücken und anderem Treibgut. Die Künstlerin überlagert in vielen Arbeitsgängen farbig gestaltete Hintergründe mit Schnipseln aus Selbstgezeichnetem und Ausgeschnittenem. Im Ergebnis entstehen homogene Arbeiten, die jene zahlreichen Arbeitsschritte nur noch erahnen lassen.
Die Hintergründe, auf denen sich Hunde und andere Figuren tummeln, sind vielgestaltig. Mal sehr konkret („Weihnachten im Holz“), mal rätselhaft („Funeral of a dog“), mal sehr abstrakt („Theater). Manches erinnert an Kinderzeichnungen und besitzt mit der gekonnten Missachtung von Perspektive, Proportionen und Anatomie viel Ironie und einigen Humor.
Können Gabriele Kromers Hunde denn nun fliegen? Nun, die meisten können es freilich nicht. Immerhin erklimmern sie Leitern und gehen über Tische und Bänke. Die meisten ihrer Hunde wirken losgelöst. Losgelöst vom Hintergrund. Ungeerdet und frei. Und manche können wirklich fliegen: Im Zirkus perfomiert ein verkleideter Hund in völliger Schwerelosigkeit und in „Haus und Hund“ schafft es einer bis auf das Hausdach. Flughunde eben.
Den 34 Grafiken sind ebensoviele Gedichte beigeordnet. Text und Bild ergänzen sich, sind jedoch nicht explizit aufeinander bezogen. Die Texte sind keine Bildunterschriften, die Bilder keine Illustrationen. So ergibt sich, dass die Gegenüberstellung von autarkem Text und eigenständigem Bild in einem interessanten Spannungsverhältnis stehen. Das Motiv „Weihnachten im Holz“ erhält durch das Gedicht „Abgeholzt“ eine ganz neue Interpretation. Und vice versa. Manchmal wird das Bild durch das Gedicht poetisch überhöht („The wolf is back“ und „Winternacht“), manchmal ergänzen Bild und Text sich, als seien sie füreinander geschafften („Funeral of a dog“ und „Die Angst eines Hundes“).
Die Lyrik Gabriel Kromers ist voller ungewöhnlicher Bilder, ungereimt und ungekünstelt. Manche Gedichte erschließen sich beim ersten Lesen, manche sind hermetisch und schwer zugänglich. Kromer kombiniert in ihren Texten scheinbar Unvereinbares, baut „Sprossenfenster aus Fischstäbchen“ und möchte einer „Schildkröte eine Suppe kochen“. Manche Texte sind heiter, viele nachdenklich und einige unglaublich traurig.
Mein Fazit: Die Gedichte und Bilder von Gabriele Kromer laden dazu ein, sich intensiv mit ihren zu beschäftigen, Details zu entschlüsseln und über Sinnzusammenhänge zu grübeln. Ich bin mit all dem noch nicht fertig und werde das Büchlein gerne immer wieder in die Hand nehmen.
Abbildung Cover: Rechte beim Verlag
Beitragsbild: huibu
Zum Buch:
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Gabriele Kromer (Text und Bild): Manche Hunde fliegen. Poems and Pictures. Gedichte und Bilder.
Strube-Verlag, München 2017
78 Seiten, durchgängig illustriert, 18 Euro.
ISBN 978-3-89912-202-2