Über Kerstin Deckers Buch „Richard Wagner.

Mit den Augen seiner Hunde betrachtet.“

Dass Richard Wagners halsbrecherische Seeabenteuer auf Ost- und Nordsee eine wichtige Inspirationsquelle für den „Fliegenden Holländer“ waren, ist auch Nicht-Wagnerianern bekannt. Hundefreunden dürfte vor allem der Aspekt geläufig sein, dass Wagners Neufundländer-Rüde Robber mit an Bord war, als es im Sommer 1839 von Ostpreußen nach London ging. Am 19 Juli stach man in See. Am 9. August (endlich) erreichte man die englische Küste. Dazwischen liegen ein Jahrhundertsturm, Seekrankheit und einige Schäden am Schiff. Die Thetis gleicht eher eine Nussschale. Die Besatzung besteht aus einem Kapitän nebst sechs Matrosen. Richard Wagner, seine Frau Minna und Robber sind die einzigen Passagiere.

Robber mag -nicht zuletzt wegen seiner Seglererfahrung- der prominenteste von Richard Wagners Hunden sein. Aber nicht sein einzigster. Kerstin Decker unternimmt in ihrem Buch einen spannenden Versuch: Sie betrachtet Richard Wagners Leben mit den Augen seiner Hunde. Ich meine, dass dies ein lohnender Ansatz ist (und bin Kerstin Decker für das Buch sehr dankbar).

Nach Robber (der sich in Paris zum großen Kummer Wagners einen neuen Herren suchte) lebte der blaublütige King Charles Spaniel Peps mit den Wagners. So hätte es auch Wagner selbst formuliert: Er lebte mit seinen Hunden. Er besaß sie nicht. Weil man ein anderes Lebewesen seiner Meinung nach überhaupt nicht besitzen kann. Immer wieder führt die Autorin Wagners Biografie, seine Tiere und sein Werk zusammen. Peps Wahrnehmung kommt in der Wahl der Tonarten des „Tannhäusers“ eine große Bedeutung zu. Es-Dur. Bei Es-Dur wedelt der schläfrige Spaniel leicht mit der Rute. Der Schluss des Tannhäuser wird in Es-Dur stehen.

„Das ist eine Grundentscheidung seiner neuen Oper. Er verdankt sie Peps.“

Kerstin Decker belässt es in ihrer „Hundegeschichtsschreibung“ nicht beim Heiteren und Anekdotischen. Die promovierte Philosophin beschäftigt sich auch mit Richard Wagners sperrigeren Schriften. Auch sein Verhältnis zum Judentum lässt sie nicht aus.

Wagner würde heute vielleicht als semi-militanter Tierschützer gelten. Er fällt „prügelnden Droschkenkutschern in die Zügel“ und streitet mit ihnen über das Recht der Tiere. Wagners Empathie führt soweit, dass er die großen europäischen Städte meidet, „weil er den Anblick des Elends der Pferde nicht erträgt.“ Es gelingt ihm nicht, „sich gegen den Angriff der leidenden Kreatur zu panzern.“ Friedrich Nietzsche wusste dies. Wagners Meisterschaft liege darin, „die Töne aus dem Reiche leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden und auch noch den stummen Thieren Sprache zu geben.“

Der Anblick eines venezianischen Fleischers beim Köpfen von Geflügel geht Wagner nicht mehr aus dem Kopf:

„Dieses Mitleiden erkenne ich in mir als stärksten Zug meines moralischen Wesens, und vermutlich ist dieser auch der Quell meiner Kunst.“

In Wiesbaden mietet er sich in eine Villa am Rhein ein und befreit dort – in Abwesenheit des Hausherrn – den Wachhund Leo (eine Bulldogge) von seiner Kette und sorgt nicht nur für eine warme Decke und vernünftige Ernährung. Das „Hündchen“ darf in die Wohnung und Wagner beim Musizieren zuhören.

Peps und Robber folgten noch viele Hunde. Ein weiterer Spaniel (Fips), ein alter Jagdhund aus zweiter Hand (Pohl), ein kleiner Beißer (Kos) und wieder Neufundländer: Russ und – in der Bayreuther Zeit- Marke und Brange.

Kerstin Decker Sprache ist kunstvoll und dabei anschaulich und originell. Das Buch liest sich lebendig, ist gut recherchiert und wird nie oberflächlich; lustig und in vielen Passagen auch anrührend. Nie jedoch rührselig, oder lamoryant!

Der Text ist nur in kurzen Passagen in der Ich-Form (aus Hundesicht gesehen) verfasst. Russ und Pohl erhalten die Gelegenheit (altersweise) direkt über ihren Herrn zu berichten. In diesen Passagen entsteht das Bild eines „weichen“ Richard Wagners. Eines Mannes, der um seine verstorbenen Tiere weint und trauert (auch um den Papagei Papo). Eines Ehemannes, der Hund und Vogel bei seiner Trennung von Minna mehr zu vermissen scheint, als seine Frau. Dem alternden Neufundländer Russ legt die Autorin folgende Aussage in den Mund (pardon, das Maul):

„Man sieht es seinen Porträts nicht an, schon gar nicht den späten Imperatorengesichtern, aber mein Herr war sehr weich. Seine Heftigkeit sei ihm gegeben, um seine Weichheit zu kompensieren, sagt er.“


Beitragsbild: A Distinguished Member of the Humane Society von Sir Edwin Landseer


Zum Buch:

Kerstin Decker: Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet.

Berenberg-Verlag, Berlin, 2013

288 Seiten, 25 Euro.

ISBN 978-3-937834-61-0