Ein Zirkushund erzählt aus seinem Leben
Olas Tante sammelt. Schöne Dinge, traurige Seemänner und struppige Hunde an Bushaltestellen. Auf diesem Weg kommt Igor in ihr Leben, als junger Hund. In Iris Anemone Pauls reich illustrierten Buch „Polka für Igor“ ist Igor allerdings schon ein gereifter älterer Herr. Meistens schläft er.
„Er träumt über der Sofalehne hängend, er pennt zusammengerollt im Feuerholzkorb, er schnarcht auf dem Küchenboden, er schlummert, ratzt und poft. Rund ist er. Seine krummen Beinchen zucken im Traum. Seine Ohren sind sehr groß und sehr weich. Ehrlich gesamt stinkt er ein bisschen. Wie ein sehr alter Wollpullover.“
Wer jemals einen alten Hund zuhause hatte weiß es: Viel genauer (und liebevoller) kann man ihn eigentlich nicht beschreiben. Und das mit dem Geruch, nun ja: Da ist schon was dran. Jeder von uns wüsste nun gern, wovon ein alter Hund so träumt, während er vor sich hindöst und sein Leben revuepassieren lässt. Da geht es Ola nicht anders. Wenn sie nämlich eine Polka-Platte auflegt, beginnt Igor zu erzählen. Von seinem aufregenden Leben als Zirkushund.
Er spricht von seiner großen Vergangenheit. Von seinem Leben in einem Zirkuswagen (geschreinert vom Hoftischler des Zaren), von weiten Reisen und einer Seiltänzerin,
„Zart wie ein französisches Putenschnitzel“,
von Zirkuspferden und exotischen Zirkuszelten. Aber die Attraktion, das war er. Igor.
Er hatte legendäre Kunststücke aufgeführt. Jongliert und domptiert. Igor schwelgt in seinen Reminiszenzen, hört die Musik von damals und schmeckt die köstlichen Gerichte von damals. Kurz: Er hatte ein Leben in Saus und Braus geführt, mit Luxus und Tschingderassabum. Damals. Ein Leben, das völlig angemessen war für Igor, „den schönsten Hund Polens.“
Während Igor spricht, steigert er sich immer mehr in die Superlative seiner Großartigkeit. Das Privatjet des amerikanischen Präsidenten, die Damen der polnischen Staatsoper. Ja. Igor ist ein Hund von Welt. Zumindest, so lange die Polka spielt.
Illustriert ist das Buch mit detaillverliebten kolorierten Zeichnungen, die im Siebdruckverfahren entstanden sind und die Anmutung von Radierungen haben. Es ist ein herrliches Sammelsurium von Dingen und Tieren, in dem Olas Tante lebt. Da gibt es Hühner, kartenspielende Ziegen und Schafe, ein Fuchs, der Rotwein trinkt und ein Schwein mit Augenklappe. Eine Atmosphäre, die wie kaum eine andere geeignet ist, die Fantasie von Ola – und dem alternden Igor – anzufachen.
Igor und Ola kuscheln in den komischsten Variationen gemeinsam in einem alten Ohrensessel, völlig versunken in Igors bunte, glamouröse Zirkuswelt. Im Hintergrund meine ich, den Sound von Polka und Balkanpop zu hören.
Die Zeichnungen stecken voller Witz und Präzision, gleichzeitig haftet ihnen die melancholische Nostalgie der „guten alten Zeit“ an, die sich panoramaartig auf den Doppelseiten ausbreitet.
Pate für diese großartige Hundefantasie steht Iris Anemone Pauls Hund Murfi, ebenfalls ein emeritierter polnischer Zirkushund, dem die Autorin mit ihrem Buch ein angemessenes Denkmal setzt.
Mein (sehr) persönliches Fazit:
Mich hat die Geschichte bei all der Komik, die in Text und Illustrationen steckt, sehr berührt. Wahrscheinlich können das alle diejenigen verstehen, die jemals einen alten Hund um sich hatten. Schlafend und wild träumend. Und jeden Tag etwas verschrobener, sonderbarer und liebenswürdiger. Auch wenn er riecht, „wie ein sehr alter Wollpullover“.
„Polka für Igor“ ist ein Buch für Kinder ab fünf Jahren. Darüberhinaus ist es ein Genuss für Hundefreunde jeden Alters.
Abbildung Cover: Rechte beim Verlag
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Iris Anemone Paul: Polka für Igor.
Durchgängig illustriert. Druck in vier Sonderfarben.
Buchgestaltung: Franziska Walther
Kunstanstifter, Mannheim 2018.
ISBN 978-3-942795-70-8
48 Seiten, 24 Euro