Warum Liebesversuche scheitern.
Kann Liebe glücken, wenn durch einen Hund die Paarbeziehung zur Dreieckskonstruktion wird? Wie geht eine Frau damit um, wenn der Partner Hunde liebt, sie aber das Hündische in sich selbst und am Vierbeiner hasst? Ursula Priess hat das Problem einem Mensch-Tierversuch unterzogen. Und da ein Versuch allein nicht zählt, dekliniert sie das Grundmotiv in mehreren Einzeltests, sie führt Liebesversuche durch, wie es im Untertitel ihres Romans anklingt.
Das prinzipielle Setting besteht jedes Mal aus einer Frau (der Protagonistin Ursina) einem Mann (Lino) und einem Hund. Mann und Frau sind das, was wir heute Silver-Ager nennen, um die 60 herum, meist gehobenes Bildungsbürgertum. Eher ökologisch-links als konservativ und spießig. Ursina und Lino kennen sich bereits seit Kindheit und Jugend und treffen nach vielen Jahren wieder aufeinander. Beide haben ein Leben, Beziehungen und Ehen hinter sich, sind geschieden oder verwitwet, unabhängig. Und wollen es noch einmal mit der Liebe versuchen. Kann das gelingen?
Eingebettet in einen Liebesversuch in Berlin (der Hund heißt in diesem Fall Assja, die Protagonisten bleiben namenlos) flechtet Ursula Priess ihre Liebesversuche ein, die sie an unterschiedlichen Schauplätzen zu unterschiedlichen Jahreszeiten stattfinden lässt. Die erste Station ist die Emilia Romagna im Frühling. Ursina ist in diesem Testlauf Juristin, die an den Ort ihrer Kindheit zurückkehrt, und Lino ein Bauerssohn, der sein Dorf nie verlassen hat, Landwirtschaft betreibt und einen Hund namens Berlusco hält. Ein Anknüpfen an das, was einst zwischen den Beiden bestanden haben mag, ist unmöglich. Zu groß die Unterschiede zwischen beiden.
Im Zürcher Oberland siedelt Priess das Scheitern einer weiteren Beziehung an. Zwischen Lino, dem Gastarbeitersohn und Ursina, der Tochter einer Textilfabrikanten-Dynastie stehen die Unterschiede der Elternhäuser. Gleichgültig, dass Lino es zum promovierten Soziologen geschafft hat und Ursina ihre Textilien aus Nachhaltigkeitsprojekten in Kaschmir bezieht.
Herbst im Märkischen Oderland: Wieder haben Ursina und Lino sich gewandelt, wieder misslingt ihre späte Liebe. Ursina arbeitet in einer Bio-Laden-Dorf-Kooperative. Lino engagiert sich als emeritierter Professor für Armenien, Ursina für die Uckermark. Ursina will Nähe, Lino Freiheit. Ursina findet keinen Platz in Linos Leben. Enttäuschung. Ende.
Nordfriesland im Winter gibt die Szenerie für einen letzten Liebesversuch ab: Ursina hält am Sarg des verstorbenen Lino die Totenwache. Auch in dieser Fallkonstellation findet die Liebesgeschichte kein Happy End. Lino hatte sich zu Lebzeiten von Ursinas Liebe erdrückt gefühlt. Sein Tod beendet die Beziehung mit vollständiger Endgültigkeit. Im Schlusstableau bleibt Ursina alleine übrig, ihr zur Seite Tigor, Linos Hund.
Ursula Priess baut ihr Buch nicht in großen Spannungsbögen auf. Es fehlen überraschende Wendungen und klare Auflösungen, die am Ende einen „Ach so!“-Effekt geben könnten. Sie liefert keine konkreten Gründe, warum genau die Liebesversuche allesamt zum Scheitern verurteilt sind. Aber gerade das Fehlen von Effekten und Überraschungen verleiht dem Buch Qualität und dem Geschehen eine große Authentizität. Wie im Leben gibt es auch im Buch keine simplen Erklärungen. Die Versuche werden akribisch beschrieben, um die Analyse und die Folgerungen muss der Leser sich selber kümmern. Mögliche Schlussfolgerungen sind bitter: Wenn Ursina von den gleichaltrigen Linos immer wieder als „Frau im Alter seiner Mutter“ bezeichnet wird, lässt dies wenig Hoffnung keimen für romantische Gefühle in der „Generation 60plus“.
Priess´ Testreihe ist literarischer Beweis für die Richtigkeit des „ Anna-Karenina-Prinzips“. „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“, so Tolstois erster Satz in seinem Roman Anna Karenina. Umgedeutet auf die Liebesversuche bedeutet dies: Unglückliche Beziehungen sind alle auf ihre eigene Weise unglücklich. Wenn ein einzelner Faktor zum Glück fehlt, gibt es kein Gelingen von Liebe. Und irgendetwas fehlt immer. Sei es die gemeinsame Liebe zum Hund und zum Hündischen.
Bei aller Hoffnungslosigkeit, die sämtlichen Fallkonstellationen von Beginn an Inne wohnt, ist das Buch voller Schönheit und pittoresker Details. Kirschen, Aprikosen, geerbte Korallenketten und silbernen Nescafé-Dosen werden in den einzelnen Geschichten zu immer wieder neuen Kompositionen inszeniert, es entsteht ein Panorama voller Farben und Düfte. Immer wieder kehrt das Leitmotiv des Hündischen; die „hündisch unwandelbare Anhänglichkeit“, wie Ursula Priess (Anna) Freud zitiert, ist durchgängiges Thema. Anhänglichkeit als Zeichen von Liebe, Anhänglichkeit die den anderen erdrückt, Anhänglichkeit, die im Gegensatz steht zu Vagheit und Freiheit.
Hund & Hase ist Ursula Priess dritter Roman. Die Ähnlichkeit des Vornamens Ursina und die Wahl der Schauplätze eröffnen die Möglichkeit zu einer autobiografischen Lesart (vor allem der Rahmengeschichte), was die Authentizität des Stoffes verstärkt und den Reflexionen der Protagonistin Ursina eine große Ehrlichkeit verleiht.
Bibliografische Angabe:
Ursula Priess: Hund & Hase. Liebesversuche.
btb, München 2015.
239 Seiten, 19,99 Euro.
ISBN 978-3-442-75605-6